deutsch

english

italiano

francais

espanol

 


 

IV. Die Ikone - Ausblick auf die kommende Welt

Unsere vierte und letzte Betrachtung zum Thema Ikone und heilige Bilder ist einem selten bedachten Aspekt gewidmet.
Die Ikonen (und im weiteren Sinn jede echte sakrale Kunst) sind nicht nur Erinnerung an das, was "in jener Zeit" einmal, "ein für allemal" in der Menschwerdung, dem Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi geschehen ist. Sie sind nicht nur die Vergegenwärtigung Christi und seiner Heilsgeheimnisse. Sie sind auch so etwas wie ein Ausblick auf den Herrn, der in Herrlichkeit wiederkommen wird. Durch die Ikone Christi blicken wir in die kommende Welt.

In seiner Ikone begegnet uns Christus gewissermaßen als der schon Wiederkommende. Betrachten wir zuerst diesen Aspekt, um ihn dann auszuweiten auf die ganze Liturgie, denn die heilige Liturgie besitzt als Ganze diese drei Dimensionen: Gedächtnis des einmal Geschehenen, das in der liturgischen Feier gegenwärtig wird und in dem die kommende Herrlichkeit schon entgegenkommt.

Auf dem Ölberg sprechen die himmlischen Boten, die Engel, die Jünger an, die dem Herrn nachblicken in seiner Himmelfahrt: "Dieser Jesus, der von euchweg hinaufgenommen worden ist, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel auffahren sehen" (Apg 1,11). Ihre Blicke folgen dem, der aus ihrer Mitte hinweggenommen wurde. Die Verheißung, daß Er ebenso wiederkommen werde, wie sie ihn jetzt haben auffahren sehen, bedeutet den Auftrag an die zurückgebliebenen Jünger, an die Kirche, sein Gedächtnis wachzuhalten, die Erinnerung an sein Antlitz: Wie ihr ihn habt auffahren sehen, so wird er wiederkommen!
Die Ikone ist Ausdruck dieser lebendigen Erinnerung: sie gedenkt nicht nur eines Menschen aus ferner Vergangenheit, sondern dessen, der als Mensch durch Leid und Kreuz verherrlicht wurde, der jetzt lebt und "für uns beim Vater eintritt" und dessen Wiederkunft uns verheißen ist. Die Ikone ist ein Bindeglied zwischen Menschwerdung und Wiederkunft, zwischen erster und letzter Ankunft des Herrn.

Von daher verstehen wir, warum das Bekenntnis zur Berechtigung der heiligen Bilder in der alten Kirche als Bekenntnis zu Christus selbst und zu seinem Geheimnis verstanden wurde. Ihn darstellen in seiner Menschheit, sein menschliches Antlitz zeichnen und anbetend betrachten, das bedeutet ein Bekenntnis zur wahren Menschwerdung des Sohnes Gottes, aber auch zu seinem Tod und seiner Auferstehung. Es bedeutet schließlich das Bekenntnis, daß er wiederkommen wird in Herrlichkeit.
So verstehen wir die etwas überraschende Formulierung des 8. Ökumenischen Konzils von Konstantinopel (869-870): "Wer also das Bild des Erlösers Christus nicht verehrt, soll seine Gestalt nicht sehen, wenn er in der Herrlichkeit des Vaters kommen wird" (Denzinger-Hünermann 655).
Die Verehrung der Christus-Ikone ist sozusagen Einübung in das Schauen der kommenden Welt, denn der, den die Ikone darstellt, ist ja der, der wiederkommen soll in Herrlichkeit.

Die Ikonenmalerei stellt Christus und die Heiligen in einer ganz eigenen Art dar. Leib, Hände, Gesicht, die ganze Gestalt ist nicht naturalistisch abgebildet, auch nicht in heroischer Haltung dargeboten, sondern in einer ganz eigenen "verklärten" Ausdrucksweise. Tatsächlich will die Ikone etwas vom Glanz der verklärten Menschheit Christi einfangen. Nach einer alten Tradition malt der Ikonenmaler als erste Ikone die der Verklärung Christi.
In der verklärten Gestalt Christi hat die Ikone ihr "Urbild". Sie will Christus nicht mehr "dem Fleische nach" kennen, nicht ein menschliches Porträt Jesu bieten, sondern den Gottmenschen darstellen, der wahrer Gott und wahrer Mensch ist, unvermischt und ungetrennt. Daher ist der Leib Christi von innen her leuchtend, nicht mehr erdenschwer, sondern durchgeistigt.


Im Christusbild, in den Ikonen Mariens und der Heiligen begegnet uns die kommende Welt, die befreite Menschheit, der im Glanz Gottes stehende neue Mensch.
Pavel Florenski hat in seinem Buch über die "Ikonostase" gezeigt, daß die Bilderwand, die in den ostkirchlichen Gotteshäusern den Altarraum vom Kirchenschiff trennt, nicht eigentlich eine Trennwand bedeutet, sondern eher so etwas wie eine Glaswand, die den Blick in die kommende, himmlische Welt freigibt, freilich noch unter der Hülle der Bilder, die erst fallen wird, wenn wir Ihn selber von Angesicht zu Angesicht schauen. Dieser Aspekt ist nicht den
Ikonen und heiligen Bildern eigen, er gilt für die Liturgie als Ganze.

Das hat das II. Vatikanum in seiner Liturgiekonstitution sehr schön ausgedrückt.
Dort heißt es im 8. Artikel: "In der irdischen Liturgie nehmen wir vorauskostend an jener himmlischen Liturgie teil, die in der heiligen Stadt Jerusalem gefeiert wird, zu der wir pilgernd unterwegs sind, wo Christus sitzt zur Rechten Gottes...
...In der irdischen Liturgie singen wir mit der ganzen Schar des himmlischen Heeres den Lobgesang der Herrlichkeit, in ihr verehren wir das Gedächtnis der Heiligen und erhoffen Anteil und Gemeinschaft mit ihnen. In ihr erwarten wir den Erlöser, unseren Herrn Jesus Christus, bis er erscheint als unser Leben und wir mit ihm erscheinen in Herrlichkeit."
Viel wäre zu sagen über diese "endzeitliche" Ausrichtung unserer Liturgie. Jede Feier der Liturgie ist schon ein wenig, ja wirklich, wenn auch verborgen, Wiederkunft Christi.

Im Sanctus singen wir: "Hochgelobt sei der da kommt im Namen des Herrn." Und tatsächlich kommt er im Geschehen der Eucharistie, in der Wandlung der Gaben von Brot und Wein in seinem wahren Leib und seinem Blut und somit Er selber, mitten unter uns. Sein Kommen in der Eucharistie ist schon jetzt seine Wiederkunft, freilich noch verhüllt in der demütigen Gestalt seines Sakramentes.

Was so im Herzen der Eucharistie geschieht, wird in vielerlei Ausdrucksformen der Liturgie noch bestärkt und in Erinnerung gerufen.
So ist auch die Verkündigung des Evangeliums Parusie, Ankunft des Herrn, was durch das feierliche Hereintragen des Evangeliars noch unterstrichen wird.
Die Erwartung der Wiederkunft kam jahrhundertelang etwa auch in der Gebetsrichtung zum Ausdruck: fast alle älteren Kirchen sind "orientiert", gegen den Orient, den Osten hin gebaut.
Die Christen beteten bewußt gegen Osten gewandt zum Ausdruck der Erwartung der Wiederkunft Christi, der im Osten von Jerusalem zum Himmel aufgefahren ist und der der aufgehenden Sonne gleich wiederkommen wird. Weitere Aspekte ließen sich anführen.
Pfarrer Dr. Erwin Keller hat ihnen eine einfühlsame Studie gewidmet (Eucharistie und Parusie, Universitätsverlag Fribourg/Schweiz, 1989).

Eigens zu erwähnen wäre hier sicherlich die Kirchenmusik, die immer auch ein Einstimmen in die himmlische Liturgie bedeutet, ja, in der die unbeschreibliche Schönheit des Himmels schon ahnungsweise zur Gegenwart wird.
So ist die ganze Liturgie, von den heiligen Bildern und Zeichen angefangen bis hin zu ihrem Herzstück, dem Geheimnis der Eucharistie, ein sehnsüchtiges Ausschauen nach der Wiederkunft Christi. Die beiden Bedeutungen des aramäischen liturgischen Rufes "Maranatha" haben dabei Geltung: "Marana tha", d.h. "der Herr kommt!"; und "Maran atha", d.h. "Komm Herr!" Wenn der Glaube an Sein Kommen und die Sehnsucht danach unser liturgisches Feiern bestimmen, wird Er mit seiner Antwort nicht zögern: "Ja, ich komme bald!" (Offb 22,20).

zurück


Herausgegeben von der Kulturstelle der Erzdiözese Wien 1994
Kulturstelle der Erzdiözese Wien; Wollzeile 2, 1010 Wien; Austria
Tel.: +43/(0)1/51552/3225, Fax.: +43/(0)1/51552/3069, Email: imago@edw.or.at.
Webdesign: Karl Gast - 1120 Wien