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II. Gott im Menschengesicht - Die Christus-Ikone

Max Picard schreibt in seinem Buch "Das Menschengesicht": "Gott wollte den Menschen nicht schrecken. Darum erschien er bei ihm auf menschliche Art.
So wie ein Freund in das Haus des Freundes kommt: ohne Lärm, kaum wird an die Tür geklopft, man merkt es nicht, daß der Freund auf einmal am Tische sitzt, wie ein Selbstverständlicher, einer, der immer schon da war, - so als Freund des Menschen ist Gott fast unbemerkt und ohne zu schrecken in der Gestalt des Menschen und im Menschengesicht darin. Und wie ein Reicher den Reichtum in seinem Hause zurückläßt, bevor er in das Haus des armen Freundes sich begibt, und wie er dort gering neben dem Geringen sitzt, so hat Gott seine Macht zurückgelassen, ehe er in die menschliche Gestalt sich begab."

Spricht der Schweizer Philosoph vom Menschengesicht hier im allgemeinen, oder meint er das bestimmte, einmalige Menschenantlitz, in dem Gott sich als Mensch gezeigt hat, das Antlitz Jesu Christi?
Er denkt wohl an beides, denn beide gehören untrennbar zueinander, das gottmenschliche Gesicht Jesu und das Gesicht des Menschen, der nach Gottes Ebenbild geschaffen ist.
Es besteht ein unlösbarer innerer Zusammenhang zwischen der Gottebenbildlichkeit des Menschen und dem Kunstverständnis. Die Sicht der Kunst und die Sicht des Menschen bedingen sich gegenseitig. Genauer: das Verständnis des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und Welt, prägt auch das Verständnis der Kunst, insbesondere der Sakralkunst.

Im Buch Genesis heißt es: "Gott sprach: laßt uns den Menschen machen nach unserem Bild, uns ähnlich" (Gn 1,26). Die beiden hebräischen Begriffe "Bild"und "Ähnlichkeit" erinnern an die Bildwerke der heidnischen Kulte. Freilich, nicht die Götterbilder stellen Gott dar, sondern der Mensch, Gottes lebendiges Ebenbild. Der Mensch repräsentiert Gott. Sein Antlitz ist Widerschein Gottes.

Wieso dann das Bilderverbot des Alten Bundes? Wieso das Gebot? "Du sollst dir kein Bild machen, kein Abbild von dem, was im Himmel droben oder unten auf der Erde oder im Wasser unter der Erde ist" (Ex 20,4)? Nicht wir sollen uns ein Bild von Gott machen, sondern Gott selber hat uns von sich ein Bildgegeben: den nach seinem Bilde geschaffenen Menschen. Die strenge Pädagogie des Alten Bundes mußte immer neu den Versuchungen der Idolatrie, derGötzenbilder wehren. Der Abfall Israels mit dem Goldenen Kalb (Ex 32) zeigt die ständig lauernde Gefahr, selber ein Gottesbild produzieren zu wollen und sich vor ihm niederzuwerfen. So sind vorerst alle Abbildungen von Lebewesen verboten. Doch wird Gott selber gewisse Bilder gestatten, so die eherne Schlange (Num 21, 4-9) oder die Cherubim über die Bundeslade (Ex 25,10-22). Diese "Ausnahmen" sind Vorahnungen des Kommenden.
"Gott verbietet Israel, sich Bilder von ihm anzufertigen, weil das Volk, das er sich erwählt hat, 'vorherbestimmt ist, dem Bilde seines Sohnes gleichgestaltet zu werden' (Rm 8,29). Gott verbietet dem Menschen den Versuch, den Steg der Götzenbilder zu ihm zu schlagen, weil er selbst zwischen sich und den Menschen die Brücke der Menschwerdung schlagen will. Das wahre Abbild Gottes wird Gott selbst sein, der Mensch wird, um die ganze Menschheit zu verherrlichen" (D. Barthélemy, Gott mit seinem Ebenbild. Umrisse einer biblischen Theologie, Einsiedeln 1966, 129).
Christus "ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes" (Kol 1,15). Er kann von sich sagen: "Wer mich sieht, sieht den Vater" (Joh 14,8). Die Menschwerdung Gottes ist die tiefste Begründung für die Möglichkeit, Gott in Menschengestalt, im Menschenantlitz darzustellen. Deshalb hat sich in der christlichen Tradition, trotz gelegentlicher Einsprüche, von früher Zeit an die bildliche Darstellung Christi, seines Lebens und Sterbens, seiner Heiligen und deren Leben durchgesetzt.

Mit dem Verweis auf die Inkarnation hat dann auch das Konzil von Nizäa 787, das 7. ökumenische Konzil, den Gebrauch und die Verehrung der heiligen Bilder gutgeheißen.

Wie sehr die christlich-abendländische Kunsttradition von dieser theologischen Grundlegung der Bilder geprägt ist, zeigt ein kurzer Vergleich mit dem Islam.
Der Islam kennt zwar im Koran kein ausdrückliches Bilderverbot. Auch kennt er im profanen Bereich eine Vielfalt von weltlichen Bildthemen, die auch Menschendarstellungen einschließen. Was der Islam jedoch strikte ausschließt, ist die Darstellung Gottes in Menschengestalt.
Bei einem islamischen Kunsthistoriker habe ich gelesen, es gebe für den Islam im Grunde überhaupt keine materielle, innerweltliche Repräsentation Gottes, da Gott der Eine, Unvergleichliche sei. Die christlichen Kirchen seien erfüllt von menschengestaltigen Bildern; der islamische Gebetsort sei ausschließlich ein Ort des (geoffenbarten) Wortes. Die einzige Metapher für Gott sei in der Moschee der Mihrab, die Leuchte, die die Gebetsrichtung angibt. Keine Gestalt, sondern das gestaltlose Licht repräsentiert Gott. Die Kunst des Islam ist daher streng bildlos, ornamental und metaphorisch.
Die biblisch-christliche Überzeugung, daß Gott von sich selber ein Bild gegeben hat, im Umriß im Menschen, genau ausgeführt im menschgewordenen Gottessohn, bedingt eine grundlegend positive Einstellung zur bildlichen Darstellung des Glaubens.

Als im 8. Jahrhundert im byzantinischen Bilderstreit die Berechtigung der bildlichen Darstellungen Christi und der Heiligen in Frage gestellt wurde, reagierten viele Christen, besonders Mönche entschieden gegen den Bildersturm, in dem sie letztlich einen Angriff auf die ganze christliche Heilsökonomie sahen.
In einem berühmten Text des hl. Johannes von Damaskus kommt dies besonders klar zum Ausdruck: "In alter Zeit wurde Gott, der keinen Körper und keine Gestalt besitzt, bildlich überhaupt nicht dargestellt. Jetzt aber, da Gott im Fleische sichtbar wurde und mit den Menschen umging, kann ich das an Gott sichtbare Bild darstellen. Ich bete nicht die Materie an, sondern ich bete den Schöpfer der Materie an, der um meinetwillen selbst Materie wurde und es auf sich nahm, in der Materie zu leben, der mittels der Materie meine Rettung ins Werk setzte. Und ich werde nicht aufhören, die Materie zu verehren, durch die meine Rettung erwirkt ist. Ich verehre sie aber nicht als Gott: keine Spur!...

Das Kreuzesholz, das überglückliche und überselige, ist vielleicht nicht Materie? Und ist nicht vor allem anderen der Leib und das Blut unseres Herrn Materie? Schaffe also die Verehrung und Anbetung all dieser Dinge ab oder überlasse der kirchlichen Überlieferung auch die Verehrung der Bilder, die durch Gottes und seiner Freunde Namen geweiht und auf diese Art durch die Gnade des göttlichen Pneumas beschattet sind. - Mach' die Materie nicht schlecht!
Sie ist nämlich nicht ehrlos. Denn nichts ist ehrlos, was von Gott kommt..." (1. Rede über die Bilder, Par. 16; zitiert nach: H. Hunger, Byzantinische Geisteswelt, Baden-Baden 1958, S. 121f; vgl. N. Thon, Ikone und Liturgie, Trier 1979, 57f, und mein Buch: Die Christus-Ikone. Eine theologische Hinführung, Stein am Rhein 1984, 184-185).
Der Glaube an die Menschwerdung und die Erlösungstat Christi, an sein Wirken in den heiligen Zeichen der Sakramente, an seine Gegenwart in jedem Menschen, besonders dem Notleidenden, war jahrhundertelang der Mutterboden lebendiger, vielgestaltiger christlicher und selbst profaner Kunst. Eine Erneuerung christlicher Kunst wird von einer neuen Hinwendung zu Christus, dem Gott-Menschen abhängen, in dem Gott uns das vollkommenste Bild seiner selbst geschenkt hat.

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Herausgegeben von der Kulturstelle der Erzdiözese Wien 1994
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