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+ Mauro Piacenza
Titularbischof von Vittoriana
Präsident der Päpstlichen Kommission für die Kulturgüter der Kirche (2004)

Der Ursprung des künstlerisch-historischen Erbes der Kirche greift mit seinen Wurzeln auf die Ausübung der Pastoral- und Evangelisierungsaufgabe der Kirche zurück. Im kirchlichen Verständnis („mens") hilft die Kunst, insbesondere die Sakralkunst, die christliche Weisheit auszubilden und ist privilegiertes Mittel der Evangelisierung. Sie findet vorrangig Ausdruck im Kult, in der Kultur, in der Katechese und in der Nächstenliebe. Denn, „...wenn die Kirche die Kunst aufruft, die eigene Mission zu vertreten, ist es nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern um selbst dem Zusammenhang der Offenbarung und der Menschwerdung zu gehorchen". (Rede Johannes Pauls II. vor dem Plenum der Päpstlichen Kommission für die Kulturgüter der Kirche, 12. Oktober 1995).

Die Sprache der Kunst ist tatsächlich eine universelle, absolute, offenbarende, theophanische, diachro­nische, ontologische, pfingstbezogene Sprache. Universell, weil alle, da die Unwissenheit überwunden ist, die kathartische Botschaft der Schönheit verstehen können. Absolut, da sie die transzendentale Harmonie des Seins offenbart, die den Glanz der Formen erreicht. Offenbarend, da sie die Dinge in der Verwirklichung ihres Seins enthüllt und nicht nur in der Scheinbarkeit des Phänomens. Theophanisch, da sie dazu führt, sich von der kontingenten Beschränkung zu befreien, um in den Genuß des Göttlichen zu gelangen. Diachronisch, da sie die Geschichte in den verschiedenen kulturellen Stilen erzählt, die zwischen Gott und dem Menschen passiert ist. Ontologisch, da sie das Sein in seiner vollen und erkenn­baren Verständlichkeit ausdrückt. Pfingstbezogen, da sie sich nach der mystischen Ekstase hin öffnet und zu uneigennützigem Dienst an den Brüdern führt. Deswegen ist sie Zeichen religiöser Freiheit und evangelikaler Verkündigung, die sich in der Schrift und in der Tradition verwirklicht.

Das künstlerische und historische Erbe der Kirche entstand im Laufe der Jahrhunderte, einerseits dank der spontanen Großzügigkeit der Armen, andererseits dank der Spendenbereitschaft der Wohlhabenden, als Zeugnis des Glaubens der ganzen christlichen Gemeinschaft. Es ist gleichzeitig Ausdruck der religiösen Verehrung und der menschlichen Kreativität. Daraus folgt die Tatsache, daß der künstlerische und historische Wert untrennbar von der Glaubensüberzeugung ist; daraus folgt der Ursprung von Werken, die aus der fruchtbaren Verbindung zwischen religiöser und ästhetischer Inspiration entstehen, wie man leicht in der Kunst der Plastik, in der Musik, in der Architektur und in den literarischen und dramatischen Werken feststellen kann. Die Kirche hat tatsächlich die menschliche Kreativität im künstlerischen Bereich stimuliert, wobei ihr genau bewußt war, daß es sich um ein erstran­giges Mittel handelt, die Seele zu ihrem Schöpfer und Erlöser zu erheben.

Die Kirche hat also ihr ungeheures künstlerisch-historisches Erbe geschaffen, um den göttlichen Kult, die christliche Katechese, die kulturelle Weiterentwicklung, die Werke der Nächstenliebe im Sinne eines ganzheitlichen Humanismus zu fördern.

Zunächst erfüllen die Kulturgüter eine Funktion der Katechese. Die Verkündigung des Evangeliums hat sich in unzähligen Kunstwerken unter verschiedensten Ausdrucksformen verwirklicht. Es genügt an die Malerei der „Biblia pauperum" zu denken. Beispiele von Kirchen, die zu Katechesenschulen geworden sind, lassen sich bis ins Unendliche anführen! Man hat richtig gesagt, daß unsere Kirchen oft ein „gemalter Katechismus" sind. Ein jegliches Museum, sei es öffentlich, sei es privat, bewahrt unzählige Gemälde, die von der Botschaft des Evangeliums inspiriert sind. Auch die zeitgenössische Kunst kann mit dieser Verpflichtung, das Evangelium über die Metapher der Schönheit zu verkündigen, fortfahren. Jesus verwendete Gleichnisse, die der Sensibilität seiner Zuhörer angemessen waren; die heutigen Künstler sollen die Gefühle zum Göttlichen hinlenken durch Werke, die den Zeitgenossen verständlich sind, und durch eine Botschaft, die in perfekter Übereinstimmung steht mit den Inhalten der authenti­schen katholischen Lehre. Heutzutage wird ein besonderes Gewicht gelegt auf die visuelle und massen­mediale Darstellung, deshalb soll man besonders die katechetische Funktion des künstlerischen und historischen Erbes der Kirche betonen.

Es folgt eine Kultfunktion. Diese stellt den Kern des religiösen Phänomens dar, das, wenn es persönli­che und intime Dimensionen hat, dennoch notwendigerweise auch gemeinschaftlichen und öffentlichen Ausdruck findet. Die Tempel, die Bilder und die Kirchengeräte, die liturgischen Bücher, die religiösen Mittel, die Werke der Plastik, die literarische Produktion, die musikalischen Aufführungen und der Gesang, die sakralen Gewänder, die liturgischen Gegenstände, werden geschaffen, um im göttlichen Kult Verwendung zu finden. Der erste Grund die Kunst zu nützen, ist für die Kirche immer der kultische gewesen. Auch die zeitgenössische Kunst ist demnach aufgerufen, Inspiration und Kreativität im göttlichen Kult zu finden, indem sie subjektivistische und nihilistische Wege überwindet. Auch die Gegenwartskunst soll dem Kult den Glanz der Schönheit verleihen, in der Rücksicht auf den historischen Zusammenhang im Gesamtbild der Kontinuität, der kirchlichen Tradition, und des „sensus fidei" des Volkes.

Ein weiterer Grund ist die Förderung einer katholisch inspirierten Kultur. Die Kultur ist die Frucht intelli­genten Handelns des Menschen in der Auseinandersetzung mit Seinesgleichen, mit der Welt, mit den religiösen Instanzen. So soll sie einem organischen Programm unterstehen, begründet auf Voraussetzungen, die der vollkommenen materiellen und geistigen Emanzipation der Einzelperson und der gesamten Gesellschaft nützen. Die Verwirklichung eines solchen Projektes schafft Mittel, die ein kulturelles Erbe darstellen. Diese sind typischer Ausdruck der humanen Spiritualität, durch die der Mensch nicht nur das Weltschauspiel widerspiegelt, sondern auch die Umwelt verändert, in der er lebt, indem er ein kulturelles und künstlerisches Erbe schafft, das jede Generation genießen kann, die aber auch die Pflicht hat, Rücksicht zu nehmen, zu bewahren und wiederherzustellen.

Ganz wesentlich im kirchlichen Leben ist schließlich die Ausübung der Nächstenliebe, deshalb hilft die Kunst auch als Unterstützung der Werke der Barmherzigkeit. Die künstlerische Arbeit erstreckt sich auf alle Bereiche des Lebens, sodaß das Schöne jeden Augenblick des Alltags erleichtert. Die christliche Nächstenliebe verlangt konkrete Bestätigungen und eine intensive Zuneigung, die über das notwendige Maß hinausgeht. Die Logik der christlichen Nächstenliebe, die den Weg der Kunst eröffnet, ist das paradigmatische „Glas frischen Wassers" aus dem Evangelium, das die Barmherzigkeit versinnbildlicht. Ein Glas Wasser löscht den Durst. Ein Glas frischen Wassers aber löscht den Durst angenehm. Deswegen haben die geistige und leibliche Barmherzigkeit in der Kunst ein empfindsames Instrument, um Zufriedenheit zu vermitteln, nachdem die notwendigen Bedürfnisse gestillt worden sind. Die Folge davon ist, daß die Ausübung der Nächstenliebe die Sprache der Gegenwart braucht, als Zeichen von Aufmerksamkeit gegenüber den heutigen Generationen.

So entdecken wir das Geheimnis einer fruchtbaren Arbeit über die Jahrhunderte: Der Kult, die Katechese, die Nächstenliebe und die Kultur sind konkrete Projektionen der drei grundlegenden Tugenden: Glauben, Hoffnung und Liebe. Der Glaube wurde im Laufe der Jahrhunderte in den großen Kathedralen konkretisiert, genauso wie in den schmucklosen Hüttenkirchen in den Missionsländern. Die Hoffnung hat in unzähligen Bilddarstellungen der christlichen Dogmen die tiefe Bedeutung ihrer Existenz gefunden. Die Nächstenliebe wurde in jenen Kunstwerken bezeugt, die in den Dienst am Mitmenschen gestellt wurden, vor allem an den Armen, Kranken, Verlassenen, den Geringsten.

Trotz der unleugbaren Widersprüche dieser Zeit scheint die Welt die wünschenswerte Phase der Vorbereitung einer neuen Zivilisation zu erleben, da das Unheil der Säkularisierung und gleicherweise die Sehnsucht nach geistigen Verankerungen bewußt geworden sind. Ihre Geburt ist absolut nötig, denn was im 20. Jahrhundert ererbt und erfunden worden ist, zeigt offensichtliche Zeichen der Ermüdung und des Scheiterns trotz unzweifelhaft positiver Gärungsprozesse und gesunder Erneuerungen.

In den heutigen Generationen besteht die Sehnsucht nach Erneuerung, Engagement für den Frieden, Mut zur Solidarität, Sinn für Toleranz, Streben nach Spiritualität. Dies sind die Keime der Wahrheit, die den Völkern christlichen Glaubens Hoffnung bringen können. Nun, am Anfang des 3. Jahrtausends der christlichen Epoche, hat die Menschheit das dringendste Bedürfnis nach echter Schönheit, hinausge­hend über vergängliche Wahrnehmungen, um sich wieder der Kontemplation für Gott hinzugeben, dem höchsten Wahren und höchsten Guten, und in dieser Erfahrung die missionarische Kraft der Verkündigung des Evangeliums wiederzufinden.

Vatikanstadt, 15. Jänner 2004

+ Mauro Piacenza

Titularbischof von Vittoriana

Präsident der Päpstlichen Kommission für die Kulturgüter der Kirche

 

 

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